Original Streetfotografie zwischen Fake und Fotokunst

„Die Street Photography begreift sich in der Regel als diejenige Fotografie, die im öffentlichen Raum geschieht…. Der Fotograf nutzt dabei die Realität, um daraus seine eigene Bildrealität zu erzeugen. Menschen und Gegenstände, die oft nichts miteinander zu tun haben, werden in einem Augenblick festgehalten, in dem sie in einer speziellen Beziehung zueinander stehen. Die Kunst ist es, einen solchen Moment aus dem Kontinuum der Zeit herauszulösen und damit eine neue Realität zu schaffen.“

Diese Sätze sind von Florian Heine. Er hat sie in dem Buch Meilensteine wie große Ideen die Fotografie veränderten aufgeschrieben.

Was bedeutet das konkret?

1. Beispiel

Partnerlook – Foto: Michael Mahlkle

Hier sehen Sie alles das, was Herr Heine aufgeschrieben hat. Mitten in der Realität im öffentlichen Raum sah ich diesen Moment so. Ich sah die Identität der Farben und Kombinationen bei der Frisur der Frau und bei dem Tiger.  Daraus erzeugte ich meine „Bildrealität“. Ich habe in einem speziellen Augenblick Dinge bzw. Menschen und Dinge festgehalten, die in einer speziellen Beziehung zueinander stehen. Genau das ist der sog. entscheidende Moment, der decisive moment.

2. Beispiel

Foto Mahlke – Betteln in Bamberg

Wie eine Diva ging die Frau mit dem goldenen Rock erhobenen Hauptes an mir vorbei. Sie schwebte förmlich. Und beim Blick auf die Straße sah ich wie sie an der Frau mit dem Bettelrock vorbeiging ohne sie eines Blickes zu würdigen. Daraus erzeugte ich meine „Bildrealität“. Ich habe in einem speziellen Augenblick Dinge bzw. Menschen und Dinge festgehalten, die in einer speziellen Beziehung zueinander stehen. Hier war es zwei Frauen, eine mit Goldrock und eine mit Bettelrock.

Aber das ist natürlich nur ein Teil der Streetfotografie.

Der andere Teil beinhaltet die Frage, wie ich aufgenommen habe?

Denn ich hätte ja auch vor die Frauen laufen können oder von unten fotografieren können oder, oder, oder.

Dazu gibt es fünf fotografische Regeln, die ich unter dem Begriff Fineart-Streetfotografie zusammengefaßt habe.

Diese können Sie sogar online gratis erlernen oder zu einem gemeinsamen Workshop kommen. Dies alles orientiert sich an der klassischen Geometrie, die Henri Cartier-Bresson anwendete und berücksichtigt Persönlichkeitsrechte und digitale Technik.

Sicherlich interessiert Sie, ab wann Streetfotografie nun zur Fotokunst wird.

Florian Heine schreibt dazu, daß die Street Photography der Reportage nahe steht, „allerdings mit dem wesentlichen Unterschied, weniger themenorientiert zu sein und künstlerische Ziele zu verfolgen; die Grenzen sind fließend.“

Wenn wir nun von der Bewegung zur Starre kommen, dann liefert uns Herr Heine schon eine gute Antwort in Richtung Fotokunst jenseits der Streetfotografie. Denn in dem Kapitel Stilleben in seinem Buch schreibt er über Wolfgang Tillmans, dessen Schlüsselbegriff seiner Arbeit der „unprivilegierte Blick“ sei, daß alles Motiv sein kann. Und warum dies dann Fotokunst ist, erklärt Herr Heine so: „Wichtig in bestimmten Bereichen der heutigen (Kunst-)Fotografie ist nicht das Foto alleine, sondern auch das Umfeld und das Konzept, das dahinter steht. Tillmans Kunst erschließt sich nicht nur über die einzelne Fotografie, sondern über einen Verbund von Fotografien, wie er sie in seinen Installationen zeigt… Daraus ergibt sich eine Art persönlicher Ikonographie, die sich dem Betrachter nicht zwingend erschließen muß.“

Jetzt wissen wir es. Da hat es die Straßenfotografie bzw. die Streetfotografie dann natürlich schwer als Kunst zu gelten, weil sie ja einzelne echte decisive Momente einfängt.

Stilleben sind eben keine Streetfotografie.

Wo beginnt Fotokunst in der Streetfotografie?

Scharfzüngig könnte man sagen dort wo „das Abfeiern des Banalen“ beginnt und das Interesse des großen Geldes zunimmt.

Aber der Reihe nach denn an dieser Stelle findet nun eine Umwertung aller Werte durch die herrschende fotografische Klasse statt. Denn es geht ja um viel Geld, weil Fotos als Fotokunst Verkaufsobjekte und Investitionsobjekte sind.

Offenbar ist nämlich das Etikett „Streetphotography“ verkaufsfördernd.

Und jetzt können Sie sich den Rest denken:

„Wolfgang Tillmans fotografiert in der U-Bahn die Achselhöhle eines Passagiers, der sich an der oberen Stange festhält. Thomas Ruff fotografiert die Lichter der Stadt Düsseldorf mit Grünstich. Gregory Crewdson fotografiert die menschenleeren Ruinen von dem Dorf Cinecitta in Italien. Das sind Beispiele für die Art der Streetphotography wie sie in dem Buch The World Atlas of Streetphotography von Jackie Higgins zu sehen sind. Das Buch will das Werk von 100 etablierten Fotokünstlern zeigen aus allen Teilen der Welt. Das gelingt dem Buch auch, aber dies unter dem Titel Weltaltas der Streetfotografie zu verkaufen halte ich für falsch. So werden die Aufnahmen von Tillmans mit den Achselhöhlen sogar als Fußstapfen von Walker Evans bezeichnet.

Hier erreicht uns dann die Umwertung aller Werte. Und so ist dieses Buch ein wunderbares Dokument aus der Kunstwelt, der künstlichen Welt, die versucht, die Wirklichkeit und die Geschichte einfach mal neu zu malen. Insofern ist dieses Buch wie die Fotografie. Da es weder ein gemeinsames Vokabular noch eine weltweite Einheitlichkeit über Wertmaßstäbe für Fotos gibt, kann man alles unter allem zusammenfassen. Und hier werden eben Performance und Contemporary Art vermischt und dann als Streetphotography präsentiert.“

So geht das. Einfach ein Etikett draufkleben! Die Freiheit der Kunst ist die Freiheit der Umwertung aller Werte. Es kommt dann wohl doch eher auf Kennen als auf das Können an. Denn letztlich bestimmt es der Markt, also die Personen, die es kaufen.

Aber damit man mir beim „Etikettenschwindel“ nicht vorwirft, ich würde nur über Wolfgang Tillmans und seine Bewertung in Medien und auf dem Markt schreiben, möchte ich das Ganze noch an Peter Lindbergh zeigen. Da ist es nämlich genauso. Unter der Überschrift Fakenews in der Streetphotography finden wir ein Beispiel wie dieser „Etikettenschwindel“ medial formuliert wird, daß nämlich Herr Lindbergh Streetfotografie mache, weil er Models auf der Straße fotografiert hat. Als Beleg wird der Artikel „Peter Lindbergh als Straßenfotograf“ in der sz genannt. Denn dieser Artikel ist die Bestätigung und der Beleg für meine Vermutung: Etikett aufkleben und medial umsetzen. Und in dem Artikel steht dann auch noch, daß Herr Lindbergh nichts dem Zufall überlassen hat, es also keine Straßenfotografie ist. Aber die Überschrift ist das Etikett und das ist eindeutig.

Und gerade der Zufall ist das entscheidende Kriterium in der Streetphotography, wie uns Herr Heine ja nun gut und klar erläutert hat, also nicht inszeniert sondern ungestellt.

Und so ist streetphotography oder streetfotografie eine der ältesten Formen der Fotografie, deren Themen und Motive sich immer gewandelt haben, je nach technischen Möglichkeiten. So vielfältig wie heute waren sie noch nie und so nutzbar als verkaufsfähiges Etikett offenbar auch noch nie.

Insofern kann das Ende dieses Artikels der Anfang einer interessanten Zeit mit Streetfotografie sein, die Können voraussetzt und bei der Umwandlung in ein Verkaufsprodukt das Kennen der richtigen Menschen. Das kennen wir aber das können eben nicht alle.

Nutzen Sie ihren Kennerblick und entdecken Sie die Fotos, auf denen man sieht, daß Sie etwas können!

So lernen Sie sich selbst fotografisch besser kennen …

Übrigens hat dies auf seine Art auch Joel Meyerowitz beschrieben:

„In the doorway“ zu fotografieren, also beim Tür durchqueren, so zwischendurch dieser Moment, ist eine sehr schöne Beschreibung.